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  • Anne Stevens

»48 Stunden ...« Blogroman Teil 1


  1. Kapitel 1

»Moment! Halten Sie den Fahrstuhl auf!« Das Jackett seines schnöseligen Anzugs wehte nach hinten und gab den Blick auf Gerrit Brandners athletische Figur preis. Sehr ansprechend, wie er da den Büroflur heruntergespurtet kam. Leider.

Leute wie er sollten nicht gut aussehen, dachte Katja finster und schob die Hand in die Lichtschranke. Dabei hätte sie viel lieber auf den Knopf gedrückt, der ihm die Tür vor der Nase verschlossen hätte. Sollte er doch hier oben warten, bis er schwarz wurde.

»Danke!«, sagte der Sohn vom Chef nachdrücklich, als er über die Schwelle sprintete. Dabei sah er Katja nicht an.

Da sieh an. Das war interessant. Hatte da etwa jemand ein schlechtes Gewissen? Katja musterte ihn, so unauffällig es ging, während sich der Aufzug in Bewegung setzte. Auf der Leuchtziffernanzeige verblasste die Neun und machte der Acht Platz. Er sah schon schuldbewusst aus, oder? Andererseits wusste er vermutlich gar nicht, wem er am Mittwoch die Kündigung hatte überreichen lassen. Obwohl, von einer Kündigung zu reden war übertrieben. Schließlich war sie nur die Aushilfe. Deshalb hatte die lapidare Mitteilung gereicht, man benötige ihre Dienste ab Freitag nicht mehr.

Ach, es war müßig, darüber nachzudenken. Sieben. Nur noch ein paar Etagen. Das würde sie überstehen, ohne vor Wut zu platzen.

Die Ziffer zog vorüber, schon war der Bogen der Sechs in Sicht. Katja atmete auf. Sie war nie gut darin gewesen, ihre Zunge im Zaum zu halten. Wer mit drei älteren Schwestern aufwuchs, lernte sich durchzusetzen. Die Sechs war fast komplett zu sehen, als ein Ruck durch die Kabine fuhr.

Ein ungutes Gefühl beschlich sie, als Gerrit Brandner endlich geruhte, sie anzusehen.

»Stecken wir fest?« Er klang so verblüfft, dass sie beinahe laut aufgelacht hätte.

Aber sie hielt nur leicht verschnupft dagegen. »Sehe ich etwa aus wie ein Monteur?«

»Nein, Sie ...« Er brach kopfschüttelnd ab, als wunderte er sich selbst, dass er ihre dämliche Bemerkung einer Antwort würdigte. Stattdessen wedelte er mit der Hand, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen. »Würden Sie zur Seite gehen?«

Katja verdrehte die Augen und räumte den Platz vor der Schalttafel.

Prompt landete sein Finger auf dem Alarmknopf. Woraufhin genau gar nichts passierte. »Müsste man den Alarmton hier drinnen hören?«

»Das fragen Sie mich, weil Sie denken, dass ich meine Wochenenden hobbymäßig zwischen sechster und siebter Etage verbringe?« Sie wusste, dass es lächerlich war, ihn so anzufahren. Aber wenn man ein Yoga-Studio betrieb, das kurz vor dem Aus stand, und dringend auf seinen Aushilfsjob angewiesen war, um die happige Miete zu zahlen, konnten einem schon mal die Sicherungen durchbrennen.

Wieder drückte er den Alarmknopf. Und noch einmal. Nichts tat sich.

Was Katja zu einem weiteren frechen Kommentar reizte. »Ist wie wenn man draußen steht. Der Aufzug kommt nicht schneller, wenn man auf den Knopf eindrischt.«

Nun hatte sie Gerrit Brandners volle Aufmerksamkeit. »Helfen Sie mir: Was an dieser Situation finden Sie so komisch?«

Sie hielt dem prüfenden Blick stand. Seine Augen waren blau. Hell und klar bildeten sie einen reizvollen Kontrast du seinem üppigen, dunklen Haar. Einen langen Moment sah sie nichts anderes. Nur dieses faszinierende Blau.

Er guckte ungerührt zurück. Als es ihm zu doof wurde, hakte er nach. »Also?«

Es brachte sie fast um, es auszusprechen. Aber verstockt zu schweigen wäre auch dämlich. »Nichts!«

»Dann verstehe ich Ihren Sarkasmus nicht.«

Wie sollte er? Sein Job war sicher. Schließlich hatte er die Firmenleitung erst vor vier Wochen von seinem Vater übernommen. »Das ist eher Galgenhumor.«

»Und der hat mit mir zu tun?«

Gott, er war aber auch hartnäckig. Sie überlegte, ihn mit einem simplen »Nein« vom Haken zu lassen, doch das wäre gelogen. Sie war wütend auf ihn. Das konnte er ruhig wissen. Andererseits hatte ihr die Personalabteilung in Aussicht gestellt, demnächst als Urlaubsvertretung einzuspringen. Kam sie ihm jetzt frech, konnte sie das vergessen. Hier war Diplomatie gefragt. Doch da brach es schon aus ihr hervor. »Klar hat das mit Ihnen zu tun.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn wütend an, wobei sie den Kopf leicht in den Nacken legen musste. »Und wie es das hat. Dank Ihnen bin ich meinen Job los. Zu verlangen, dass ich gute Laune vorschütze, ist ja wohl etwas viel verlangt.«

Gerrit Brandner hob nicht nur die Braue, er reckte auch einen gebräunten Zeigefinger in die Höhe. »Erstens: Ich habe niemandem gekündigt. Zweitens: Wir stecken fest. Tut mir leid, aber das ist nicht ganz die Smalltalk-Atmosphäre, die ich bevorzuge. Drittens: Es ist Freitag«, er hob die Hand mit den drei aufragenden Fingern höher und warf einen demonstrativen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Nach achtzehn Uhr. Was glauben Sie, wie viele Leute noch im Gebäude sind?«

»Äh ...« Katja sah ihn fassungslos an, weil die volle Tragweite dieses kleinen Fahrstuhl-Malheurs endlich in ihr Hirn drang. Im Moment kamen überhaupt nur wenige Leute zur Arbeit ins Büro. Der Großteil der Leute saß corona-bedingt im Homeoffice. Und selbst wenn nicht – nach siebzehn Uhr waren schon an normalen Wochentagen die meisten Büros verwaist. An einem Freitag leerten die sich noch früher.

»Dachte ich mir schon, dass Sie das vor lauter geistreichen Bemerkungen nicht mitgekriegt haben.« Kopfschüttelnd zog er sein Handy aus der Jackett-Tasche. Was er auf dem Display sah, gefiel ihm offenbar nicht, denn seine Stirn warf Falten.

»Könnten Sie es versuchen? Ich habe keinen Empfang.«

Katja, deren Wut allmählich wachsender Panik wich, schüttelte den Kopf. »Mein Handy ist in der Reparatur.«

Gerrit Brandner sah sie ungläubig an.

»Was ist? Gibt es neuerdings ein Gesetz, das es Leuten verbietet, ohne Smartphone in den Lift zu steigen?« Sie wollte cool klingen, konnte ihre Nervosität aber nicht verbergen. »Vielleicht ist es ja ein stummer Alarm.«

»Stummer Alarm?« Sein Blick sagte deutlich, dass er sie nicht nur für patzig, sondern auch für ziemlich beschränkt hielt.

Katja räusperte sich. »So was gibt es an Fahrkartenautomaten. Der Alarm geht bei der Polizei los, ohne dass die Diebe etwas davon mitbekommen.«

Gerrit Brandner strich über sein Kinn, das ein dunkler Dreitagebart zierte. »Da macht es ja auch Sinn, wenn man Diebe auf frischer Tat ertappen will. Aber in einem Fahrstuhl?«

Okay, er hatte Recht. Aber so leicht wollte Katja die Katastrophe nicht hinnehmen. »Was, wenn wir auf der Stelle hüpfen?« So machten sie das in Filmen immer. Und schon da hatte sie es selten dämlich gefunden, aber das musste Brandner nicht wissen.

»Sie wollen hüpfen wil ... ist Ihnen kalt?«

»Sehr witzig.«

»Hm, ich passe mich Ihnen an«, gab Brandner humorlos zurück. Dann ließ er das Jackett von seinen Schultern gleiten.

»Was wird das?«

»Ich richte mich auf Wartezeit ein.« Von Panik keine Spur. Ebenso gut hätte er am Flughafen auf einen verspäteten Flieger warten können.

Katja schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an. »Moment mal, Sie wollen doch jetzt nicht hier drin Feierabend machen? Irgendetwas müssen wir ja wohl tun können.«

Gerrit Brandner verdrehte die Augen. Und gleich noch einmal, als wollte er sichergehen, dass Katja es auch ja mitkriegte. »Was schwebt Ihnen denn vor? Wollen Sie wie Bruce Willis‘ kleine Schwester auf die Kabine klettern und sich am Seil hochhangeln?«

»Ich mag Ihren Humor nicht, Herr Brandner!«

»Fein, und ich mag Ihre pampigen Antworten nicht. Da das geklärt wäre – wie wäre es, wir setzen hin und beruhigen uns? Und dann sagen Sie mir, wieso Sie so einen Hass auf mich haben.« Kaum hatte er ausgesprochen, machte er es sich tatsächlich auf dem Boden bequem und stopfte das zusammengeknüllte Jackett hinter seinen Kopf.

Katja beobachtete ihn ungläubig, als ihr aufging, wie lächerlich sie sich gerade machte.

»Okay, warten wir also. Spätestens wenn das Reinigungs-Geschwader kommt, wird sich ja wohl jemand über den steckengebliebenen Lift wundern.« Ungelenk, weil sein prüfender Blick sie nervös machte, kramte Katja die Yoga-Matte aus ihrer Tasche und breitete sie auf den Boden. Als sie es sich bequem gemacht hatte, wurde sein Blick ernst.

»Ich sag’s nicht gern, aber der Putzdienst kommt erst in der Nacht von Sonntag auf Montag. Bis dahin ...« Er zuckte die Achseln. »Also los: Was habe ich Ihnen getan?«


Weitere Folgen des fünfzehnteiligen Blogromans erscheinen jeweils donnerstags und montags!

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