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  • Anne Stevens

»48 Stunden ...« Blogroman Teil 8



Katja. Es war gar nicht so leicht, flach zu atmen und vorzugeben, dass man schlief, wenn einem das Herz in der Brust rumpelte wie ein verdammter Kastenteufel.

Das Dumme war, dass Katja nicht wusste, was sie sagen sollte. Wann war sie zuletzt beinahe übergeschnappt, bloß weil jemand ihre Hand hielt? Das musste mit Tobi gewesen sein, bei der allmonatlichen Cola-Fanta-Party im Vereinsheim. Damals, mit sechzehn, hatten diese Rhythmusstörungen sehr gut zu unschuldigem Händchenhalten gepasst. Heute waren diese Backfisch-Gefühle albern.

Außerdem gab es ja noch Mark. Sie liebte ihn. Daran änderten auch ihre Zweifel an Marks Treue nichts. Mark war der Mann, der es allein mit einem trägen Augenaufschlag schaffte, ein wohliges Flattern in Katjas Magengegend auszulösen.

Nur war das nicht so teeniemäßig glückstrunken wie beim Händchenhalten mit Gerrit. Gerrit war heiß. Er trug seinen gutgeschnittenen Anzug wie eine zweite Haut. Außerdem hatte er diese wahnsinnig schönen Augen und ein Lächeln, das ihr die Röte in die Wangen trieb. Sportlich war er, seine dunkle Stimme gefiel ihr und ... Moment!

Katja zwang sich, diese albernen Gedanken zu stoppen. In was steigerte sie sich da rein? Und wieso überhaupt? Er war ganz bestimmt nicht der letzte Mann, den sie je auf Erden sehen würde. Es gab keinen Grund, ihn zu idealisieren. Herrje, sie waren für achtundvierzig Stunden eingesperrt und davon waren schon einige verstrichen. Sie müssten nur noch ein bisschen durchhalten, bis der Putztrupp sie erlöste. Dann würde sie schnurstracks nach Hause fahren und dieses Intermezzo mit Gerrit Brandner vergessen. Es war das absolut Richtige, sagte ihr Verstand. Bis ihr Herz sich einmischte, indem es noch ein klein wenig heftiger schlug.

Unwillkürlich entließ Katja einen tiefen Seufzer in den ellenlangen Flur.

»Ich dachte, du schläfst«, ließ Gerrit sich prompt vernehmen.

»Hm, dachte ich auch. Also, dass ich schlafen kann, meine ich«, erklärte Katja lahm.

Er lachte leise. »Ja, mir war klar, dass es sich darauf bezog.« Eine Weile war es still, dann räusperte er sich. »Was hält dich denn wach?«

Ha, das würde sie ihm nicht auf die Nase binden. Gerrit Brandners Ego brauchte keine Streicheleinheiten, indem sie ihm unter die Nase rieb, dass er für ihre Herzrhythmusstörung verantwortlich war. »Ich habe gerade überlegt, dass heute Abend die Lottozahlen gezogen werden. Vielleicht bin ich schon Millionärin, wenn ich hier rauskomme.«

»Du spielst Lotto?«

»Nope! Aber eine noch doofere Ausrede fiel mir nicht ein.« Kaum war es heraus, tat es Katja schon wieder leid. »Hey, ich wollte nicht so schnippisch sein.«

»Wenigstens fällt es dir auf.«

»Was soll das denn heißen? Denkst du, ich merke nicht, wenn ich mich im Ton vergreife?« Katja hielt den Atem an. Aus einem Grund, den sie lieber nicht näher erforschen wollte, war es ihr wichtig, wie Gerrit von ihr dachte.

»Die viel interessantere Frage ist doch, warum du plötzlich derart rumeierst. Bisher hatte ich jedenfalls nicht den Eindruck, dass du mit deiner Meinung hinter dem Berg hältst oder versuchst, dich zu verstellen.« Wieder dieses leise Lachen. Als wüsste er ganz genau, was sie gedacht hatte.

Kurz überlegte sie, ihre Hand von seiner zu lösen, doch irgendetwas hielt sie davon ab. »Ich halte nicht hinter dem Berg. Ich ... ich finde einfach, dass es dich nichts angeht, was mir durch den Kopf spukt. Schließlich frage ich dich auch nicht, woran du gerade denkst.«

»Kannst du ruhig tun.«

Nun lachte sie. »Moment mal, du redest mir gut zu, damit ich dir die Frage stellen, die Männer zuverlässig zu der Art Zigaretten-holen-Flucht treibt, von der sie nie zurückkehren?«

»Jep, tue ich. Wobei mir gerade einfällt: Rauchen ist out. Heutzutage brauchst du schon eine bessere Ausrede.«

»Bier von der Tankstelle vielleicht?«, bot Katja an.

»Ja, damit könnte man durchkommen. Aber wie so oft haben wir uns weit vom eigentlichen Thema entfernt.«

»Hilf mir auf die Sprünge. Haben wir ein offizielles Thema, an das wir uns halten müssen?«, fragte sie keck.

»Und wie wir das haben«, verkündete Gerrit im Brustton der Überzeugung. »Welche Gedanken halten uns wach? Woran denken wir? Wobei ich in diese Richtung bisher wesentlich direkter war als du.«

In Katjas bühnenreifen Seufzer mischte sich ihr leises Kichern. »Gut, dann stelle ich halt meine Frage: Was denkst du?«

»Dass ich mich lange nicht so gut gefühlt habe wie gerade jetzt. Und das, obwohl ich zu Hause ein Sofa habe, das diesen Teppich in puncto Bequemlichkeit um Längen schlägt.«

Wie jetzt? Das gab er einfach so zu? Ohne sich einen Ausweg offenzuhalten, falls sie nun einwandte, dass sie nur hier weg wollte. Sie war baff. Gleichzeitig reizte es Katja, dem auf den Grund zu gehen. »Woran machst du das fest?«

»Ich schätze, es liegt an deiner Gegenwart. Jedenfalls habe ich keinen Teppichboden-Fetisch.«

Das wurde ja immer besser. »Du willst sagen, dass es dir meinetwegen gut geht?«, fragte Katja ungläubig.

»Wäre das so abwegig?«, gab er mindestens ebenso erstaunt zurück.

»Es ... äh ... schon ... irgendwie.« Na toll, jetzt stotterte sie auch noch, als hätte sie nie zuvor ein Kompliment bekommen. Katja holte tief Luft, um den nächsten Satz ohne Gesprächslücken zu formulieren, die nahelegten, dass sie nicht ganz bei sich war. »Wieso erzählst du mir das?«


»Weil es die Wahrheit ist. Und glaub mir, darüber ist niemand erstaunter als ich.«

Da sieh an. »Du findest also rational betrachtet, dass ich dein Interesse nicht verdiene?«

»Falsch, ich finde dich sogar sehr interessant. Nur bist du eigentlich nicht mein Typ.« Sein Daumen strich leicht wie ein Hauch über ihren Handrücken.

»Da bin ich aber gespannt. Wer ist denn dein Typ?«

»Mein Typ ist ...« Gerrit geriet ins Stocken.

»Ha, ha, ertappt. Du stehst bestimmt auf irre erfolgreiche Geschäftsfrauen, die alle zwei Wochen zum Frisör rennen und in schicken Business-Kostümen durch die Weltgeschichte stöckeln.«

»Also das mit den Frisörbesuchen habe ich nie so genau nachgehalten. Aber im Prinzip liegst du nicht ganz falsch. Ich habe es gern natürlich, ungekünstelt und konservativ schick. Nennen wir es klassisch elegant. Gute Figur, aber die hast du ja, sportlich und wenn sie nicht vom Berg der Blödheit gestürzt ist, umso besser.«

Irgendwo tief in ihrem Magen begann es aufgeregt zu flattern. Dabei hatte Gerrit ihr gerade erklärt, dass sie mit kaum einem seiner Anforderungskriterien übereinstimmte. In einer Dating-App hätten sie vermutlich null Matching-Punkte. Aber dass er sich trotzdem wohl mit ihr fühlte, machte es für Katja nur umso spannender.

»Was soll mir das sagen? Hm, was fange ich jetzt damit an?«, fragte sie und ließ ihrerseits wie zufällig den Daumen über seine Fingerknöchel fahren.

Gerrit atmete tief ein, doch er ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »So funktioniert das Spiel nicht, Katja. Ich habe dir gesagt, was ich denke – du bist dran!«


Weitere Teile des Blogromans »48 Stunden zwischen Himmel und Parterre« lesen Sie immer montags und donnerstags.

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