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  • Anne Stevens

»48 Stunden ...« Blogroman Teil 9


Gerrit. Er lag mit angehaltenem Atem da und schaute auf das Notbeleuchtungsschild, während er auf Katjas Antwort wartete. »Also: Woran denkst du?«, hakte Gerrit nach. Seiner Erfahrung nach war es nicht gut, dem Gesprächspartner zu viel Raum zu geben. Schließlich war ihm nicht an halbgaren, zurecht konstruierten Ausreden gelegen. Er wollte spontane Ehrlichkeit. »Das Erste, was dir in den Sinn kommt.«

Katja wandte sich ihm zu. Der Blick wachsam, die Stirn leicht gerunzelt, ging sie in die Offensive. »Und ich blöde Kuh habe mich tatsächlich gewundert, wieso ein Mann mich ermutigt, ihn nach seinen Gedanken zu fragen. Aber gut, wenn du es unbedingt wissen willst: Ich bin estaunt, dass es mir keine Angst macht, hier eingesperrt zu sein. Um ehrlich zu sein, fühle ich mich sogar recht wohl«, sagte sie trotzig, um lapidar hinzuzufügen: »Das muss an dir liegen.« Sie sah wieder hoch zur Decke. »Zufrieden?«

»Wenn es die Wahrheit ist.« Erneut hielt er den Atem an. Warum war ihm das überhaupt so wichtig? Mehr noch, falls er gedacht hatte, sie könnte sich durch sein Interesse geschmeichelt fühlen, hätten seine Alarmglocken spätestens jetzt geschrillt, denn sie holte tief und sehr geräuschvoll Luft.

»Wenn es die Wahrheit ist?«, fragte sie unheilvoll und schnaubte. »Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass mich keiner zwingen kann, dir zu antworten? Aber nein, statt dessen tust du, als würde ich lügen, um mich vor der Wahrheit zu drücken oder dir zu schmeicheln. Das ist ganz schön arrogant, mein Lieber. Und ich weiß nicht, ob mir das gefällt.«

»Hey, das wollte ich damit nicht sagen«, erklärte Gerrit in versöhnlicherem Ton und fragte sich, wann er zuletzt dermaßen in der Defensive gewesen war.

»Was wolltest du dann.«

Tja, wenn er das nur wüsste. »Ich wollte ...«, begann er und brach gleich wieder ab, weil ihm keine sinnvolle Erwiderung einfiel. Oder zumindest keine, die er laut aussprechen wollte. Denn die Wahrheit, die eitle, dämliche und beschämend pubertäre Wahrheit war, dass er sich von ihren so lapidar hingeworfenen Worten geschmeichelt gefühlt hatte und gern mehr gehört hätte. Aber ihr das unter die Nase zu reiben, wäre nun wirklich peinlich. »Ich schätze, ich wollte einfach ein bisschen mit dir flirten. Du weißt schon«, setzte er vage hinzu – und erntete erneutes Schnauben.

»Nein, keine Ahnung. Was soll ich denn wissen?«, fragte sie mit jäher Kälte in der Stimme.

Herrje, selbst die Inquisition war mit ihren Folteropfern vermutlich gnädiger umgesprungen. »Ein harmloser Flirt, mehr nicht«, sagte Gerrit und bereute, überhaupt daran gedacht zu haben.

Wobei ihm wieder in den Sinn kam, warum er Frauen wie sie nicht mochte. Frauen, die mit Häkeltaschen herumliefen, an denen sie waaahn-sin-nig hingen, weil sie sie einem einäugigen, peruanischen Mundweber auf einem Dritte-Welt-Basar abgekauft hatten. Frauen, die sich einen Dreck darum scherten, wie ihre Kleidung auf Männer wirkte, weil sie es gern praktisch und bequem mochten. Er hasste Yoga-Frauen im Allgemeinen, Esoterikerinnen im Besonderen und die Schnittmenge – Farben sehende, Weihrauchstäbchen abbrennende Yoga-Esoterikerinnen – waren ihm erst recht verleidet. Am besten, er sagte ihr das gleich. »Ich ... mag dich einfach«, sagte er und hatte den Mund schon wieder zugeklappt, ehe ihm überhaupt klar wurde, dass er es auch nur gedacht hatte.

»Du ... magst mich?« Sie klang, als könnte sie nichts mehr erstaunen. Oder war es gar Erschütterung, die er aus diesem kurzen Satz heraushörte?


Das war der Moment, in dem Gerrit das Gefühl beschlich, in den letzten Minuten um Jahre gealtert zu sein. Wieso hatte er dieses dämliche Gespräch doch gleich eingefädelt? Richtig, er hatte aus Katja herauskitzeln wollen, woran sie dachte. Und hier lagen sie nun. Er dachte an sie, sie dachte an ihn. Sie hielten sich noch immer bei den Händen und das ging so verdammt nicht vor und nicht zurück, dass er sich fragte, ob er sich eine Auszeit auf der Toilette gönnen sollte. Eine andere Fluchtmöglichkeit gab es schließlich nicht. Aber diese Blöße wollte er sich nun wirklich nicht geben.

»Okay, du hast mich erwischt. Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen und plump fragen, wie du dich fühlst und was du denkst, also dachte ich, ich versuche es ein wenig ... raffinierter.«

»Ha, ha«, lachte Katja fröhlich, »wenn du das raffiniert nennst, möchte ich gern wissen, wie deine Holzhammer-Methoden aussehen. Vermutlich erholt man sich davon nie mehr.«

»Richtig. Seit ich das Brainwash-Seminar besucht habe ...«

»Und durchgefallen bist«, unterbrach sie ihn gnadenlos. »Aber gut, das ist eine präzise Frage, damit kann ich etwas anfangen. Lass mich kurz nachdenken.« Sie holte tief Luft, brummte ein paar angenehm zarte Hm-Hm’s in die Stille, ehe sie sich auf die Seite drehte – wobei sie noch immer seine Hand hielt.

»Ich frage mich, ob du merkst, dass meine Hand in deiner ziemlich warm wird und meine Handfläche schweißnass ist, weil ich nervös bin, ohne recht greifen zu können, warum. Überhaupt verstehe ich nicht, wieso ich mich dir so ... so nahe fühle. Ist ja nicht so, als hätten wir einen Haufen Gemeinsamkeiten und wären ein halbes Leben lang umeinander gekreist, um uns jetzt aufeinander zu stürzen. Außerdem ...«, ihr Zeigefinger löste sich, tippte federleicht auf seinen Handrücken, »... hast du mich gefeuert. Moralisch bin ich praktisch verpflichtet, dich für einen fiesen, ausbeuterischen Kapitalisten zu halten.«

Auch ohne in dem diffusen Licht zu sehen, wie der Schalk in ihren Augen aufblitzte, hätte er an ihrer Stimme erkannt, dass sie lächelte.

Er ging auf das Spiel ein, warf gespielt theatralisch den Kopf in den Nacken und begann zu jammern. »Mein Gott, wirst du mein Werben nie erhören? Soll das ewig zwischen uns stehen?«

Katja lachte so hell und klar, dass der Ton ihn mitten ins Herz traf. Er war schon im Begriff, sich vorzubeugen. Durch die ständigen Positionswechsel waren sie sich ohnehin näher gekommen. Doch dann fiel ihm ein, dass irgendwo in Afrika ein Kerl saß und nur darauf wartete, zu ihr zurückzukommen. Wenn er sich jetzt zu weit vorwagte und versuchte, sie zu küssen, kriegte sie es glatt fertig, ihm die letzten Stunden in diesem Gefängnis zur Hölle zu machen.

Und was, wenn nicht, fragte die hartnäckige Stimme in seinem Kopf, die ihm schon in seiner Jugend mit draufgängerischen Ideen Scherereien beschert hatte. Was, wenn sie hingerissen ist und nicht mehr an diesen Idioten denkt, sobald du sie küsst? Ihm kamen, andere, frivolere Gedanken in den Sinn. Und Bilder von ihr in seinen Armen.

Gerrit schüttelte den Kopf. Nicht mit einer Häkelsack-Frau. Nicht mit einer Aushilfe, die in den Ferien wiederkommt, weil das nur Scherereien in der Firma gibt. Und erst recht nicht mit einer, die ihm vermutlich eine Ohrfeige verabreichte, die sich gewaschen hatte, weil sie vergeben war.

Er überlegte noch, wann er sich einer Frau je so unbeholfen genähert hatte. Mit vierzehn? Sechzehn? Doch so sehr er in seiner Vergangenheit kramte, wurde ihm bewusst, dass er keinem Kuss je so nervös entgegengefiebert hatte.

»Du bist dran: Was denkst du?«

Er war noch nicht fertig mit Räuspern, da brach es schon aus ihm hervor. »Ich denke, dass ich in diesem Moment nichts lieber tun würde, als dich zu küssen.«

Er sah, wie Katja kurz zusammenzuckte, ehe sie ihm entgegenkam. Ein zarter Fliederduft umgab sie. Aber da war noch etwas Anderes, etwas Unverwechselbares, das ihm schon im Fahrstuhl aufgefallen war, das ihn zu ihr hinzog.

Gerrit wusste, dass das eine dumme Idee war. Und trotzdem – er konnte nicht anders.

Weitere Teile des Blogromans »48 Stunden zwischen Himmel und Parterre« lesen Sie immer donnerstags und montags.

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