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  • Anne Stevens

»Wie ich einmal die Kleider verlor und die Liebe mich fand ...«


Eine Weile war ich recht still. Was soll ich sagen? Familiäre Verpflichtungen, die mir wenig Zeit zum Schreiben ließen. Voraussichtlich Ende August werde ich mein nächstes Buch veröffentlichen. Bis dahin ist es noch ein Weilchen, aber ich hätte da was ...

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»Wie ich einmal die Kleider verlor und die Liebe mich fand ...«

Das Thermometer in der Backstube der Patisserie Schacht zeigte stur auf 39 Grad. Verstohlen wischte Charlotte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn und wartete auf die Antwort ihres Chefs. Mürrisch wie immer mahlte er mit den Kiefern. Dabei klatschte er mit einem großen Schaber derart heftig Creme auf eine Torte, als wollte er das gute Stück zermalmen.

Es dauerte, bis er sich bequemte, mit Lotte zu reden. »Keine unnötigen Einkäufe unterwegs. Sie trödeln nicht, lassen diesen nervigen Hund raus und sind in einer halben Stunde zurück. Haben wir uns verstanden, Frau Heimann? Uns steht eine Nachtschicht bevor, die sich gewaschen hat.« Ob ihrem Chef bewusst war, dass er jedes Wort unterstrich, indem er mit dem Teigschaber vor Charlottes Nase wedelte? Vermutlich nicht.

Wieso Michael Schacht Patissier und nicht Söldner geworden war, blieb ihr ohnehin ein Rätsel. Aber das war jetzt nicht das Thema. »Dreißig Minuten sind zu knapp. Ich brauche eine Stunde. Schließlich will ich den Hund Gassi führen und nicht auswringen.« Sie straffte die Schultern und reckte ihr Kinn vor. Bei Schacht durfte man keine Unsicherheit zeigen, sonst riss er einem mit dem ausgestreckten Finger den ganzen Arm aus.

»Was dauert denn daran so lange? Wenn der Hund wirklich seit heute Morgen in der Wohnung war, dürfte er längst undicht sein und sich auf Ihrem Fußboden erleichtert haben. Dann können Sie sich den Weg ebenso gut sparen.«

»Kann ich nicht«, murrte Lotte. Sie hatte seine doofen Sprüche so satt, dass sie am liebsten alles hingeworfen hätte. Nur brauchte sie das Geld jetzt dringender denn je. Noch war sie im Rennen und durfte nichts riskieren. »Wenn ich daran erinnern darf, ich habe Feierabend. Seit drei Stunden! Und eine Pause habe ich auch nicht gemacht.«

»Gleich verlangen Sie noch, dass ich eine Stechuhr einführe und Nachtzuschläge zahle. Nur weil es ausnahmsweise ein bisschen später wird.«

Die Leier kannte Lotte, sie hatte dreihundert Überstunden angehäuft. Ihm war das egal. Sie war ihm egal, solange sie hübsch in der Reihe tanzte. Andernfalls spuckte er höhnische Kommentare aus und schimpfte Charlotte faul und undankbar. Früher – genau genommen war es erst drei Monate her – hatte sie mit Ben über die Allmachtsfantasien ihres Chefs gelacht. Nur stand Ben nicht mehr zur Verfügung. Nicht zum Lachen, nicht zum Gassigehen, gar nicht.

»Wie wäre es denn, wenn wir morgen weiter probieren?«, wagte Lotte sich vor. Immerhin war es ein brüllend heißer Sommertag gewesen. Selbst jetzt kühlte es nicht merklich ab. Dass die Quecksilbersäule das Thermometer nicht sprengte, war ein Wunder.

Schacht sah sie finster an. »Morgen, Fräulein Heimann, richten wir hundertfünfzig feinste Törtchen für eine Schar illustrer Hochzeitsgäste, dazu die fünfstöckige Hochzeitstorte und das Kuchenbuffet. Da bleibt keine Zeit, um neue Kreationen zu entwickeln. Also machen wir hier heute erst Schluss, wenn wir ein neues Produkt haben, das wir auf allen Ssoschiäl Midiä-Kanälen posten können.« Wie er es aussprach, klang Social Media nach einer international grassierenden Seuche. »Noch Fragen?«

Nein, hatte sie nicht. Oder doch, aber die verkniff Charlotte sich. Seit der ärgste Konkurrent vom Chef eine Patisserie in Mitte eröffnet hatte, waren ihnen ein paar wichtige Kunden abgesprungen. Schachts Pech, dass in ihm nicht ein Funken Fantasie schlummerte. Ging es nach ihm, reichten butterlastige Rezepte aus Omas Zeiten und ein bisschen Glasur. Wenn jemand frischen Wind ins Geschäft brachte, war es Charlotte. Nur, dass sie dafür nicht mit Dank, sondern mit Spott überzogen wurde – bevor Schacht ihre zuckrigen Meisterwerke vor den Kunden als seine Erfindungen ausgab.

»Eine Stunde, drunter schaffe ich es nicht.« Damit zog sie das Küchentuch aus ihrem Hosenbund, warf es auf die Arbeitsplatte und stürmte aus der Backstube und durch den Patisserie-Bereich ins Freie.

Mit dem Rad brauchte sie von Schachts Laden in Berlin-Dahlem bis zu ihrer Wohnung nahe der Krummen Lanke zehn Minuten.

Nassgeschwitzt kam sie dort an. Sie wäre zu gern unter die Dusche gesprungen, aber Kalle jaulte wie ein Chor Eunuchen. Wahrscheinlich stand ihm das Wasser bis zum Hals.

Kaum waren sie aus dem Haus, hob er sein Bein an einem Baum. Dann zerrte er an der Leine, dass selbst ein Husky auf seine Zugkraft neidisch geworden wäre. Charlotte mit ihren 1,60 Meter und der zierlichen Statur brauchte ein paar Schritte, um ihn wieder in den Griff zu kriegen.

»Muss es denn unbedingt der See sein? Können wir nicht einfach eine Runde durchs Grün drehen?«Kalles treudoofer Blick ließ sie weich werden. Lotte nahm die Kette vom Rad, schwang sich in den Sattel und trat in die Pedale.

Keine fünf Minuten später stand sie am Ufer der Krummen Lanke und löste die Leine. »Na dann tob dich mal ordentlich aus. Schacht hat mir eine Spätschicht aufgebrummt. Unsere Abendrunde müssen wir vermutlich nach Mitternacht drehen.«

Der schwarze Gordon Setter ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit einem atemberaubenden Sprint verschwand er zwischen den Bäumen.

Lotte streifte die Arbeitsschuhe von den Füßen und watete in das seichte Wasser. Gott, tat das gut. So erfrischend.

Sie wunderte sich, dass hier nicht mehr Leute waren. Die konnten ja nicht alle in irgendwelche Biergärten verschwunden sein. Vermutlich lag es daran, dass Ferien und viele ausgeflogen waren. Charlotte sah sich um. Weit und breit kein einziger Badegast. Niemand. Wirklich niemand. Es juckte sie, in den See zu springen. Einmal kurz abkühlen, bevor sie zurückmusste in die Tretmühle.

Sie riskierte noch einen Blick, dann streifte sie rasch ihr Shirt und die karierten Hosen ab, ließ den BH ins Gras fallen und das Höschen gleich dazu. Drei schnelle Schritte und sie stürzte sich ins kühle Nass. Prustend kam sie wieder hoch und schwamm ein paar Meter vom Ufer weg. Das perfekte Ende für diesen Tag. Fehlte ... oder nein, Ben fehlte nicht. Sie musste es sich nur oft genug vorsagen. Irgendwann würde ihr Herz schon kapieren, was der Kopf längst wusste.

Als Kalle hinter ihr in lautstarkes Gebell ausbrach, drehte sie sich im Wasser. Der Gordon Setter hüpfte am Ufer herum wie ein Berserker. Das sah wild aus, weil er groß und schwarz war, aber damit erschöpfte es sich. Kalle war so gutmütig, dass es an Blödheit grenzte. Obendrein war er wasserscheu, verfügte über keinerlei Jagdtrieb und wenn Einbrecher ihn ausgiebig kraulten, dürften sie zum Dank Lottes komplette Wohnung ausräumen, ohne dass er einmal wuffen würde. Zu grollendem Knurren und Zähnefletschen überwand er sich nur, falls jemand Charlotte zu nahe trat oder sie anschrie.

»Na los, trau dich. Das Wasser ist herrlich kühl. Du musst doch schwitzen unter dem elenden Pelzmantel.« Lotte lachte. Bis sie kapierte, dass der Rüde nicht ihr hinterher bellte. Er hüpfte um ihr klingelndes Telefon herum und das lag ... Moment mal, wieso denn auf der Wiese? Gerade noch hatte sie es in ihrer Arbeitshose gehabt, doch die war ... Lottes Augen wurden riesig. So schnell sie konnte, kraulte sie den kurzen Weg zum Ufer zurück, traute sich aber nicht aus dem See. Da lagen ihre Arbeitsschuhe und gleich daneben ihr Schlüssel und das wild herumhüpfende Handy. Der Rest – Hose, Shirt, Wäsche – war weg. Das durfte nicht wahr sein.

Charlotte wollte aus dem Wasser steigen, genierte sich aber. Was, wenn der Dieb in den Büschen hockte und nur darauf lauerte, sie zu begaffen? Womöglich würde er Fotos mit seinem Smartphone machen. Ihr wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, ihren nackten Hintern in irgendwelchen Internetforen zu sehen.

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